(Die Schatten von Tsushima Kapitel 11)
In Erinnerung dessen, was mir mein Vater noch vor seinem Abschied in Bezug auf eine mögliche Heirat meiner Stiefschwestern aufgetragen hatte, machte ich mich auf den Weg in ein besonderes Viertel von Sankt Petersburg um einen Herrn Schagal, - „Meister Schagal“, wie mein Vater betont hatte - aufzusuchen. Mein Vater hatte mir genaue Instruktionen gegeben, wie ich mich vorstellen sollte.
So betrat ich das Ladengeschäft dieses gewissen Chazkele Grigorjewitsch Schagal, welches mir zunächst einmal einen düsteren und verstaubten Eindruck machte. Der Mann, mochte etwa das Alter meines verstorbenen Vaters haben, und stand hinter einem Tresen, der über und über mit unterschiedlichsten Dingen überladen war. Beim Näherkommen zeigte er sich mir klein und untersetzt, und ich hatte von Anfang an das Gefühl in eine andere Welt einzutreten. Eine jüdische Welt zweifellos, wie sich mir nicht erst durch die vielfältige, im Laden sichtbare, Symbolik und das Tragen der Kippa erschloss. Der Laden roch nach Staub, und machte mir nicht den Eindruck, dass jeden Tag viele Besucher hier einkaufen oder große Geschäfte abschließen würden.
Ab dem Moment, zu dem ich das Geschäft betreten
hatte verfolgten mich wache, durchdringende Augen, und eine freundliche Stimme
fragte mich nach meinem Begehr.
Wie mir mein Vater aufgetragen hatte, begann ich:
„Ich bin Pjotr Michailowitsch Gromow, der Sohn des Michail Petrowitsch Gromow, welcher leider verstorben ist. Auf Geheiß meines Vaters möchte ich von ihnen etwas über die ´Neunte Rose´ erfahren“.
Ich selbst hatte keinerlei Ahnung was die Erwähnung der ´Neunten Rose´ genau bedeuten sollte. Mein Vater hatte mir ja keinerlei Erklärung in seinem Brief gegeben, warum ich zu diesem, mir in diesem Moment mehr als suspekt erscheinenden, Mann gehen und ihn auf diese Weise befragen sollte.
Ich wusste zwar von der Leidenschaft meines Vaters Rosen zu züchten, aber was hatte dieser Chazkele Grigorjewitsch mit der Rosenzucht meines Vaters zu tun? Diese hatte ich im Übrigen inzwischen aufgegeben. Ich vermutete, dass die das ´Neunte Rose´ als Codewort signalisieren sollte, dass ich tatsächlich der Sohn des Michail Gromow, und damit vertrauenswürdig war.
„So, so, Jüngelchen …“, meinte Chazkele in väterlichem Ton, „… dann ist es also soweit. Ich hoffe du hast einiges an Zeit mitgebracht …“, und mit diesen Worten ging er an mir vorbei zur Eingangstür, und schloss sie ab.
„Lass uns nach hinten gehen, und einen Tee trinken, dann werde ich dir alles nötige mitteilen, was dein Vater mir aufgetragen hat“.
Rätselhaft wie es bereits von Beginn an gewesen war, setzte sich mein Besuch bei Meister Schagal fort, und ich folgte ihm durch eine enge Tür durch einen langen verwinkelten Gang und mehrere Vorhänge in einen Raum, in dem zunächst nur eine einsame Kerze brannte. Meister Schagal entzündete weitere Kerzen, so dass der Raum in ein warmes Licht getaucht wurde. Er ließ mich eine ganze Weile allein in dem Raum zurück, sodass ich mir die mit vielfältigen Ornamenten gewobenen Teppiche an den Wänden anschauen konnte. Die Symbolik die sie darstellten war mir fremd, strahlte jedoch eine ruhige Atmosphäre aus, die zu der Wärme passte, in die der Raum eingetaucht war.
Der Meister kam zurück mit dem Tee, und setzte sich mir gegenüber in einen der bequemen Sessel an einem kleinen Tisch.
Dann begann er zu erzählen, und was ich erfuhr, schockierte mich nicht, und erstaunt mich heute noch weniger, auch wenn es mir damals zunächst befremdlich erschien. Doch bei allem was er mir erzählte machte der alte Schagal auf mich mehr und mehr einen vertrauenswürdigen Eindruck. Ich könnte heute gar nicht mehr sagen, warum, aber alles was er sagte empfand ich als die reine Wahrheit.
Zunächst fragte er mich aus, über die Umstände des Todes meines Vaters, und über mich selbst in meinen Hausstand, dann erzählte er lange von meinem Vater, und seiner Beziehung zu ihm.
Schagal war wohl meines Vaters Vertrauter in den besonderen Dingen die seine Vorlieben des Eros betrafen. So war er es, welcher meinem Vater nicht nur die speziellen Rohrstöcke beschaffte die er für Züchtigungen benutzt hatte, sondern darüber hinaus auch willige Damen aus der gehobenen Gesellschaft vermittelt hatte, welche sich von ihm lustvoll quälen ließen, und auch sonst keinerlei Hemmungen hatten ihre dunklen Seiten auszuleben.
Nun, diese Neigung meines Vaters war mir ja durchaus nicht verborgen geblieben. Neu war mir allerdings, dass all dieses Treiben in einem mystischen Rahmen stattfand, und in vielen Fällen wohl auch in genau diesen Räumlichkeiten, in welchen ich mich gerade befand.
Zum Beweis zog Meister Schagal einen Vorhang zur Seite, der den Blick in einen weiteren Raum öffnete, ungefähr ebenso groß wie der Erste, und in welchem ein seltsames Möbelstück stand, welches ich mir nicht erklären konnte zu was es dienen sollte.
Doch dann erinnerte ich mich an die Beschreibung von Zinaidas „Exposition“ und dachte mir, dass es genau solch ein Möbelstück sein musste, wie in ihrer Beschreibung. Ein Möbelstück einzig dazu geschaffen, dass eine Dame auf dem Bauch liegend mit gespreizten Beinen gefesselt, ihren Liebreiz dem Betrachter zu präsentieren, und gleichzeitig ihren Po einem Instrument der lustvollen Bestrafung darzubieten.
„Ihr sagt, es steht bald die Verlobung und in einem Jahr die Hochzeit der Zwillinge Marja und Daria an, und aus Euren Worten habe ich herausgelesen, dass eure eigene Hochzeit mit dieser Taisija wohl auch nicht mehr fern ist. Da werde ich euch drei dieser „Canapé Cosaque“ bauen lassen. Man nennt sie auch Kosakendivan“.
Woher der alte Fuchs wusste, dass sowohl ich als auch Egor und Wenja eine Verwendung für so ein Kosakendivan haben würden, erschloss sich mir nicht, aber er hatte damit durchaus ins Schwarze getroffen.
„Nicht alles hat dein Vater dir erzählt, und manches ist besser, wenn du es von einem Dritten wie mir erfährst. Wie du weißt, hatte dein Vater auch eine besondere Vorliebe für die Zahl Neun“, was ich ihm bestätigen konnte.
„Er suchte immer nach Vollkommenheit, und die Neun ist die letzte Unvollkommene vor der Vollkommenheit der Zehn. Drei Paare sind drei Männer und drei Frauen, von denen die Naiven glauben, dass sie sich lediglich ergänzen und damit addieren. Für den Eingeweihten multipliziert sich jedoch das Ergebnis, wenn die Richtigen zusammenkommen, und ich weiß, dass dies bei euch der Fall ist. Es ist kein Zufall, dass ihr drei Paare seid, welche mehr verbindet, als nur eine normale Freundschaft. Und ich bin mir sicher, dass ihr drei Männer schon einige gemeinsame Erlebnisse hattet, welche nur wenige Männer miteinander teilen“.
Wiederum war ich erstaunt wie dieser scharfsinnige alte Mann zu dieser Aussage kommen konnte, denn ich hatte ihm mit keiner Silbe von den Erlebnissen mit Egor und Wenja auf unserer Reise erzählt. Weder von der gemeinsamen Züchtigung der Varvara in Sibirien, noch der zwischen uns geteilten Gunst von Zinaida.
„Im gleichen Maße sind sich die drei Frauen, die euch zur Seite gestellt werden, in ihrem Kern gleich, auch wenn ihr das heute vielleicht noch nicht erkannt haben mögt“.
Damit irritierte er mich, und ich dachte bei mir, dass das ja bei den Zwillingen sicher der Fall war, aber Taisija schien mir doch charakterlich ganz anders als meine Stiefschwestern. Und von dem Gedanken einer Vermählung schienen wir noch weit entfernt.
Tatsächlich fügt es sich jedoch alles wie von wundersamer Hand, wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, inwieweit Taisija oder jemand anderes dabei die Fäden gezogen hatte.
Ein paar Wochen nach meinem Besuch bei Schagal, während einer Soirée im Hause Priboi hatte mich ihre Mutter, Marija Ljudwigowna, die nach dem tragischen Tod ihres Mannes, Wassili Silytsch Priboi, in der Kriegsgefangenschaft in Japan, nun für ihre Tochter sorgen wollte, auf die Seite genommen, und zu meinem Erstaunen eröffnet, dass Taisija mir in inniger Liebe zugetan sei, sie dies nur nicht zu zeigen vermochte.
Das hatte mich ehrlich erstaunt, und wiederum war ich von den seltsamen Gegensätzen in Taisija Wesen verwirrt. Diese Selbstbewusstsein ausstrahlende Frau hatte mir ihre Gefühle bislang nur ansatzweise in der Oper gezeigt, schien meinen sonstigen Avancen gegenüber jedoch eher kühl. Doch ihrer Mutter hatte sie anvertraut eher sterben zu wollen, als einen anderen Mann als mich zu heiraten. Eine Offenbarung welche Taisija ihrer Mutter gegenüber wohl erst gemacht hatte, nachdem Marija Ljudwigowna ihr mit Fürst Alexander Wassiljewitsch Suworow einen Bewerber vorgestellt hatte, der drauf und dran gewesen war ihre Mutter um die Hand ihrer Tochter zu bitten.
Wie blind war ich gewesen, nicht zu sehen, dass sich Taisijas Mutter nach dem Tod ihres Mannes um die Zukunft ihrer Tochter sorgte. Doch welche Ehre, dass Marija Ljudwigowna Pripoi mich einem Fürsten vorzog. Noch die Worte Chazkele Grigorjewitsch Schagals in meinen Gedanken und das scheinbar vorgezeichnete Schicksal vor Augen, hatte ich mich spontan entschieden Marija Ljudwigowna um die Hand ihrer Tochter zu bitten.
Doch zurück zu jenem Tag an welchem mir Schagal meine Zukunft vorgezeichnet hatte und weiter in seinen Worten:
„Ihr werdet auch in Zukunft vieles gemeinsam unternehmen, und eure Weiber werden es zu schätzen wissen …“., orakelte Schagal weiter, und um meine Verwirrung komplett zu machen fuhr er fort:
„Doch weder bei der Neun noch bei der Zehn wirst du selbst stehen bleiben, denn als würdiger Nachfolger deines Vater wirst du nach der Zwölf streben. Doch das wird sich dir erst erschließen, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Für heute gilt es zuerst noch andere Erkenntnisse zu gewinnen“.
Und damit holte er einen Stapel Karten hervor - keine gewöhnlichen Spielkarten, sondern Karten mit unterschiedlichen Symbolen und Zahlen darauf - die er mischte, und mich drei Karten ziehen ließ, die ich danach offen auf den Tisch legen sollte.
Zum Vorschein kamen zwei Karten mit der Zahl „Neun“ und eine Karte, die eine schwarze Rose umhüllt von einem Blutstropfen zeigte.
„Hier hast du deine ´Neunte Rose´ … du bist
wirklich der Sohn und legitime Nachfolger des Michail Petrowitsch Gromow. Ich
gratuliere dir.
Und das du die zwei Neunen, und damit die 99, gezogen
hast, weist uns den Weg, die kommende Verlobung zu gestalten. Der neunte Monat
ist der richtige Zeitpunkt, und ihr werdet euch am 19. September zum
Vollmondabend treffen***.
Ihr drei Männer mit euren drei zukünftigen Weibern“.
*** Das war der Dienstag, 2. Oktober 1906 nach dem Gregorianischen Kalender, und der 19. September nach dem Julianischen, dem damals in Russland in Gebrauch stehenden, Kalender.
Schagal behandelte mich und Taisija bereits genauso wie die bereits feststehenden Paare meiner Stiefschwestern mit Egor und Wenja, so als ob es mein Schicksal sein sollte.
„Wie es dein Vater bestimmt hat, werden wir eure
Verlobung nach dem Ritus vollziehen, der ihm selbst wichtig und als Meister und
Starez auszuführen stets eine Lust war. Ich selbst
werde die Zeremonie begleiten, und der Starez, den
euer Vater bestimmt hat wird euren Bund segnen. Überlasst alles mir, euer Vater
gab mir genaueste Instruktionen, und seid unbesorgt, dass alles was für die
Zeremonie benötigt wird rechtzeitig bei euch eintreffen wird.
Ihr müsst lediglich für einen gut beheizbaren Raum sorgen, den ihr mir drei
Tage zuvor zur Verfügung stellt, und den ich mit meinen Gehilfen entsprechend
vorbereiten werde“.
Er erzählte mir dann noch etliche Episoden aus dem Leben meines Vaters, und ich erkannte den einen oder anderen Anknüpfungspunkt, der nun für mich in völlig anderem Licht erschien. So konnte ich die Menschen, die in meiner Jugend in unserem Haus ein- und ausgegangen waren, so manche Heimlichkeit die ganz offensichtlich vor mir verborgen worden war, und das unsichtbare Netzwerk, das zwischen den unterschiedlichen Personen gesponnen war, in einer Ordnung erkennen, deren Tiefe sich mir zwar noch nicht vollständig erschloss, deren feinziseliertes Gewebe mir jedoch zunehmend einen Sinn zu ergeben schien.
Meine Neugierde war geweckt, zumal ich in vielen Facetten des Lebens meines Vater Ähnlichkeiten zu mir selbst entdeckte. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass Chazkele Grigorjewitsch mir noch nicht alles mitgeteilt hatte, was die ´Neunte Rose´ bedeutete. Eine Spielkarte schien mir zu wenig, und was hatte es mit der ominösen 99 auf sich?
Ich fragte ihn auf den Kopf zu, und er meinte
daraufhin:
„Es gibt Dinge, die sagen sich nicht, aber ich werde dir das Märchen vom
Zauberhaar erzählen, und wenn du aufmerksam zuhörst, wirst du verstehen was es
mit der neunten Rose auf sich hat“:

„Vor langer Zeit wuchs das Waisenmädchen Jelysaweta bei ihrer Tante auf, da seine Eltern früh verstorben waren. Die Tante war schön, und gab für die Pflege ihrer Schönheit viel Geld aus, sodass der Onkel Jelysawetas immer in Geldnöten war. Als Jelysaweta ihre weibliche Blüte und Volljährigkeit erlangt hatte, wurde sie daher als Blumenmädchen zu einsamen Männern geschickt, die sie liebkosten und herzten und dafür dem Onkel viel Geld schenkten.
Jelysaweta dachte sich dabei nichts Böses, denn nie hatte sie
ihre Tante in die Nähe einer Kirche kommen lassen. Stets war Jelysaweta mit den anderen Blumenmädchen zusammen die
ebenfalls für ihren Onkel arbeiteten und auch untereinander viel der Liebe
pflegten.
Unter all den Mädchen war Jelysaweta die Schönste und
verhalf damit ihrem Onkel und ihrer Tante zu beträchtlichem Wohlstand.
Eines Tages kam nun ein einsamer Leutnant von einer langen Reise mit seinem Kriegsschiff zurück in den Hafen und erfreute sich an Jelysaweta. Bald erweckte er in ihr eine besondere Leidenschaft, die Jelysaweta jedes Mal erfasste, wenn er ihr Lust mit Schmerz verband. Ein Stöckchen, das der Leutnant stets mit sich führte, ließ er auf ihrem weißen Popo tanzen, und brachte Jelysaweta dadurch in höchstes Verzücken. Danach erfuhr sie seine Liebe noch viel intensiver, und so verliebte sie sich in ihn. Auch er gewann sie richtig lieb, und kam so häufig zu ihr, dass kein anderer sich ihr mehr nähern konnte. An Geld und Gold mangelte es ihm nicht, und Onkel und Tante waren zufrieden.
Dann jedoch musste der Leutnant wieder fort, denn sein Schiff fuhr in den Krieg. Zwar versprach er wiederzukommen, doch der Krieg zog sich in die Länge und der Kummer überkam Jelysaweta. Da sie immer trauriger wurde mieden die anderen einsamen Männer ihre Gesellschaft. Erzürnt über den versiegenden Geldstrom, sperrten Onkel und Tante die gramgebeugte Jelysaweta in einen dunklen Keller, aus dem sie erst wieder herauskommen sollte wenn sich ihre üble Laune gelegt hätte. Eines Tages vergaß der Onkel jedoch die Tür zu ihrem Verlies abzusperren, und Jelysaweta konnte davonlaufen; ziellos hinaus in die Welt.
Viele Jahre zogen ins Land, und Jelysaweta verdingte sich hier und da auf dem Land als Magd. Sie verbarg ihre Schönheit, denn sie wusste das Onkel und Tante nach ihr suchen ließen um sie zurückzuholen.
Wieder einmal war sie nur knapp einem gedungenen Fänger entronnen und in einen tiefen, dunklen Wald geflüchtet. Bald hatte sie sich verlaufen, und fand nicht mehr heraus aus dem Wald. Stattdessen kam sie zu einer Lichtung auf der ein großes Schloss aus weißen Steinen stand.
Dieses Schloss wurde von den neun geheimen Rittern des Zaren bewohnt, die das Reich unsichtbar zusammenhielten.
Kaum war sie auf die Lichtung hinausgetreten, wurde sie von acht jungen Mädchen umringt, die jede eine wunderschöne Rose im Haar trugen. Diese brachten Jelysaweta zu der Tafel der Ritter. Die tapferen Recken erkannten sofort Jelysawetas verborgene Schönheit, und fragten sie, wer sie sei. „Eine Magd“, antwortete sie, und als sie daraufhin gefragt wurde, was sie davor gewesen sei, antwortete sie „ein Blumenmädchen“.
Da erkannte einer der Ritter, der früher zur See gefahren war und nun über die Flotte des Zaren wachte, sein Blumenmädchen aus der Zeit, als er noch ein junger Leutnant gewesen war. Jelysaweta die er so lange vermisst hatte, da sie nach seiner Rückkehr aus dem Krieg verschwunden gewesen war.
„Das ist die neunte Rose auf die ich gewartet habe“, sprach der Ritter Michail zu den Anderen, und diese verstanden, warum er all die Jahre über keinem anderen Mädchen eine Rose ins Haar geflochten hatte als Zeichen dafür, dass sie sein Bett und sein Leben teilen sollte. Jelysaweta war einfach die Schönste.
So kam es, dass Jelysaweta in die Gemeinschaft der Rosenmädchen aufgenommen wurde und bald wurde Hochzeit gehalten. Dabei wunderte sich Jelysaweta über das Spalier, dass die Ritter und ihre Rosenmädchen aus biegsamen Stöckchen gebildet hatten, erkannte aber bald, dass alle Paare die gleichen Leidenschaften teilten wie Michail und sie selbst.
Feierlich überreichten die Ritter Michail eines der biegsamen Stöckchen, der dieses sogleich zur Besiegelung ihres Bundes auf Jelysawetas Popo tanzen ließ. Auch von jedem der Hochzeitsgäste bekam sie einen Hieb mit dem Stöckchen so dass das Feuer der Leidenschaft bereits in Jelysaweta loderte als Michail mit ihr ins Brautgemach aufbrach. Wie in diesem, wurde auch in allen anderen Gemächern der geheimen Rittern des Zaren in dieser Nacht noch das Stöckchen geschwungen, die Feuer der Liebe entfacht und die Begierden gelöscht.
Von nun an trug Jelysaweta Michails Rose im Haar und begleitete ihn überall hin auf seinen Reisen, so dass er stets das Feuer in ihr und auf ihrem Popo entfachen konnte, dass die beiden so inniglich verband.
Auf diesen Reisen kamen sie auch wieder einmal in den Hafen, in dem der Ritter Michail das Blumenmädchen Jelysaweta zum ersten Mal besucht hatte. Wie überall, wo das Paar auftauchte, wurde der Ritter um Jelysawetas Schönheit beneidet, doch nur die Tante erkannte sie als das Blumenmädchen, dass ihr vor einigen Jahren weggelaufen war.
Nach dem Tod des Onkels nunmehr vereinsamt aber immer noch wütend und voll der Bosheit über den ihr entgangenen Reichtum, schickte sie eines der ihr verbliebenen Mädchen als Dienerin zu Jelysaweta, die ihr ein verwunschenes Haar in ihren Zopf flechten sollte.
Tatsächlich fiel Jelysaweta in einen bleiernen Schlaf sobald das Zauberhaar sich mit ihren Zopf verbunden hatte, und sah aus wie Tod.
Da war Ritter Michail voller Verzweiflung, und ließ Jelysaweta zurück ins weiße Schloss bringen, und in seinem Zimmer in einem kristallenen Sarg aufbahren. Obwohl Jelysaweta nicht mehr atmete, und für immer verloren schien, verblasste ihre Schönheit nicht. Trotzdem drängten die anderen Ritter Michail dazu Jelysaweta alsbald zu beerdigen, und so ging Michail hinaus auf die Lichtung, um ein letztes Mal eine schöne Rose für seine Jelysaweta zu pflücken. Alsbald fand er auch ein wunderschönes Exemplar, tiefrot wie Blut, und brachte die Rose in sein Zimmer und wollte sie Jelysaweta in ihren Zopf flechten, wie er es schon unzählige Male getan hatte, stets bevor sie ihr Bett in vollendeter Lust geteilt hatten. Dabei fiel plötzlich das Zauberhaar aus ihrem Zopf. Da erwachte Jelysaweta aus ihrem todesähnlichen Schlaf, und Ritter Michail war voll des Glücks.
Eine Kräuter- und Zauberkundige Frau untersuchte Jelysaweta und fand sie völlig gesund, erkannte aber das unheilbringende Haar und brachte in der Folge die ganze Wahrheit auf den Tisch. Die boshafte Tante ward ergriffen und auf das Schloss gebracht, wo sie zum Tode verurteilt und gehenkt wurde.
Jelysaweta und Michail aber lebten in Liebe und Lust zusammen und immer wenn sie wieder in dem weißen Schloss zusammen mit den übrigen acht geheimen Rittern und ihren Mädchen weilten, genossen sie es das Stöckchen in unterschiedlichen Paarungen tanzen zu lassen, so dass das Feuer immer wieder neu entfacht wurde, und bald ward ihnen ein Sohn geboren, den sie Pjotr nannten“.

Damit beendete Chazkele Grigorjewitsch Schagal seine Märchenerzählung und mein Kopf schien überzufließen von all den Gedanken die er in mich gepflanzt hatte.
Was wollten mein Vater und Chazkele mir mit diesem Märchen eigentlich sagen, und was sollte meine Rolle in diesem Spiel in der Zukunft sein?
Chazkele ließ mich eine Weile mit meinen inneren Sturm allein, und als er wieder zurück kam kehrten wir inhaltlich noch einmal zu der geplanten Verlobung zurück, und er resümierte für mich die wesentlichen Punkte, damit sie nicht in all den Bildern, die in meinem Kopf umherschwirrten, versinken würden.
Abschließend nannte er mir noch eine Summe, die mich seine Bemühungen kosten sollten – eine stattliche Summe fürwahr - aber es bestand für mich kein Zweifel, dass es im Sinne meines Vaters war was er mir vorgeschlagen hatte.
Als ich das Ladengeschäft verließ war es bereits dunkel geworden; wir hatten also mehrere Stunden miteinander verbracht, und ich hatte Einblick in Dinge werfen können, die ich mir zuvor niemals hatte vorstellen können. So unscheinbar Chazkele Grigorjewitsch Schagal in seinem kleinen muffigen Laden wirken mochte, er hatte offensichtlich Umgang mit Personen in allerhöchsten Kreisen und bewahrte Geheimnisse, welche wohl das Staatswesen hätten aus den Angeln heben können.
Libertineros 2020, 2025
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